Reinhard Kühl
Reinhard Kühl - Biografie
1967 in Lörrach geboren, lebt und arbeitet in Berlin

1991-97 Studium der Malerei und Fotografie an der Hochschule der
Künste Berlin
1991 Surikow Institut Moskau
1992 Akademie der schönen Künste Vilnius
1993 Chelsea College of Art and Design London
The School of the Art
Institute of Chicago
1996 Hochschule für Kunst und Design Budapest
1997 Meisterschüler bei Prof. Dieter Appelt an der HdK Berlin
Preise/Stipendien
1999 Artists' Work Programme, Irish Museum of Modern Art, Dublin
DAAD-Stipendium Polen
2000 Air Art 2000 der EADS München
Atelierpreis der Karl-Hofer-Gesellschaft
Berlin
2001 Stipendium Kulturstiftung der ZF Friedrichshafen AG
Kunststipendium Laufenburg
2002 iaab-Stipendium Edinburgh
Georg-Kolbe-Preis Berlin
Kleinbasler Kunstpreis
2003 Stipendium Künsterlaus Hooksiel
Förderpreis für
Fotografie der Öffentlichen Versicherungen Oldenburg
Stipendium Villa Serpentara,
Olevano Romano
Einzelausstellungen
1999 The Process Room, Irish Museum of Modern Art, Dublin
2000 Irish Times, Galerie Koch und Kesslau, Berlin
sztuka, Galerie Bebensee,
Hamburg; Kunstverein Gifhorn
still_life, Galeria Prowincjonalna,
Slubice
2001 Onkel Karl, Galerie Pankow, Berlin
Neben der Zeit, Zeppelin
Museum Friedrichshafen
2002 Georg-Kolbe-Preis 2002, Georg Kolbe Museum Berlin
Souvenir, Kunstverein
Unna
déjà vue,
Galerie Bebensee, Hamburg
2003 Schöne Aussichten, Künstlerhaus Hooksiel
Tante Charlotte, Galerie
Koch und Kesslau, Berlin; Galerie Robert Keller, Kandern
Male Anioly, Gdanska Galeria
Fotografii, Muzeum Narodowe, Danzig
Gruppenausstellungen (Auswahl)
1999 The Source Commissions, mit Paul Quinn, Old Museum Arts Centre,
Belfast
Kleine Welten, Galerie
in der Alten Schule - KMZA, Berlin
body and urbanism, International
Centre of Culture, Tirana
2000 Honigbär und Engelchen, mit Ingrid Schütz, Galerie
Herold, Bremen
...und ab die Post 2000,
4. Festival junger Kunst, Postfuhramt, Berlin
Berlin Berlin, Bildergalerie,
Nowosibirsk
2001 Kein schöner Land, Galerie in der Alten Schule - KMZA,
Berlin
unplugged - Neue Lochkamerafotografien,
Fotoforum West, Innsbruck
Slubice - Berlin, Galeria
Prowincjonalna, Slubice
2002 Ernte 01, Kunsthalle Palazzo, Liestal
Pleneras, Galerija Akademia,
Vilnius
Regionale, Ausstellungsraum
Klingental, Basel
2003 Der große Ausdruck, Städtische Galerie im Buntentor,
Bremen
Botschaft der Dinge, Museum
für Kommunikation, Berlin
Frische Fische, Palais
für Aktuelle Kunst / Kunstverein Glückstadt
2004 "Durchs
Loch gesehen", K4 galerie, Saarbrücken
Messen
2004 ART
Frankfurt (K4 galerie)
Reinhard Kühl - Werkbeschreibung
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Die Szenen wirken wie Schnappschüsse aus einem Fotoalbum.
Ein Paar steht mit einem Säugling vor einem Fachwerkhaus. Daneben
ein Foto von drei kleinen Kin-dern am Ufer eines Sees, die gebannt zu
einem riesigen Zeppelin am Himmel starren. Zunächst sind die Fotos
schwarzweiß, dann tauchen erste Farbfotografien auf: Ein junges
Paar mit einem Motorroller, daneben eine Familie auf dem Weg ins Strand-bad.
Einige der Fotos sind blass, als sei die Farbe im Laufe der Zeit verblichen.
Andere, intensiver in der Farbigkeit, scheinen die gleiche Familie zu
zeigen - Jahre später: Eltern und Kinder vor einem Einfamilienhaus
neben einem Mercedes. Der Fotozyklus "Onkel Karl", den Reinhard
Kühl während des Stipendiums der ZF-Kulturstiftung in Friedrichshafen
geschaffen hat, suggeriert eine Lebensgeschichte zu erzählen. Die
Fotos scheinen die Höhe- und Wendepunkte, die erinnerungswürdigen,
herausragenden Momente eines Menschenlebens festzuhalten. Private, aber
auch historische Momente, eingebunden in das individuelle Schicksal, scheinen
sich mü-helos verschiedenen Dekaden des 20. Jahrhunderts zuordnen
zu lassen: Die Schwarzweiß-Aufnahmen zeigen Szenen aus der Kindheit
und Jugend zwischen 1910 und 1930, die Hochzeit in den dreißiger
Jahren und Onkel Karl im Zweiten Weltkrieg. Die Fotos, die in die Nachkriegszeit
datiert werden könnten, sind bereits in Farbe aufgenommen: Das erste
Eigenheim mit VW Käfer in den fünfziger Jahren, das größere
Haus mit dem neuen Mercedes, ein Hinweis auf die prosperierenden sechziger
Jahre.
Das angebliche Fotoalbum ist eine Illusion. Onkel Karl
existiert nicht. Er ist eine fiktive Person. Beim genaueren Hinsehen entpuppen
sich Onkel Karl und seine Familie als Spielzeugfiguren, Miniaturen, wie
sie für Modelleisenbahnen verwendet werden. Die winzigen Spielzeugfiguren
hat Reinhard Kühl auf einer Malpalette in Szene gesetzt und vor einem
realen Hintergrund, einer existierenden Stadtlandschaft, fotografiert.
Bildausschnitt und Perspektive sind so gewählt, dass die realen Größen-verhältnisse
verschwimmen, sich die virtuelle Familienszene in den realen Hinter-grund
einpasst. Die gleichmäßige Unschärfe, die Kühl durch
den Einsatz einer Loch-kamera erzielt, lässt den fiktiven Vordergrund
mit dem existierenden Hintergrund, dem Bodensee, dem Strandbad und den
Häusern in Friedrichshafen verschmelzen. Die Grenze zwischen Fiktion
und Wirklichkeit verschwimmt, Simulation und Reali-tät gehen eine
gleichberechtigte Symbiose ein.
Reinhard Kühl spielt im Zyklus "Onkel Karl"
mit den Erwartungen, Sehgewohnhei-ten und Erinnerungsbildern des Betrachters.
Für die virtuelle Lebensgeschichte von Onkel Karl wählt er Motive,
wie sie in den meisten Familienalben zu finden sind. Das entspricht einem
Phänomen, das der Gedächtnisforscher Daniel L. Schacter be-schreibt:
"Viele Menschen verstehen unter Erinnerung noch immer eine Reihe
von Familienbildern, die in einem inneren Album aufbewahrt werden. Doch
inzwischen wissen wir, daß wir keine wertfreien Schnappschüsse
früherer Erinnerungen spei-chern, sondern auch die Bedeutung, die
Empfindungen und Gefühle aufbewahren, die uns diese Erlebnisse vermittelt
haben. " So bietet der geschlossene narrative Fotozyklus Projektionsflächen
für die privaten, persönlichen Erinnerungen des Re-zipienten.
In fast jeder Familie könnte es einen Onkel Karl geben. Reinhard
Kühl gräbt mit dem Fotozyklus "Onkel Karl" so auch
Erinnerungsspuren aus, die die Weltgeschichte in der Lebensgeschichte
hinterlassen hat. Die individuelle wird zur universellen Geschichte. Gleichzeitig
hinterfragt Reinhard Kühl die Beweiskraft und Aussagefähigkeit
von Fotografie, die nicht nur eine Gedächtnisstütze für
persönliche Erinnerung, sondern auch eine wichtige Mnemotechnik des
20. Jahrhunderts ist.
Regina Michel
(Auszug aus dem Text im Katalog "Reinhard Kühl - Neben der Zeit",
Zeppelin Museum Friedrichshafen, 2001)
Reinhard Kühl - Abbildungen
 
 
Aus der Serie "Onkel Karl", 2001
20 x 30 cm
Camera obscura
 
Aus der Serie "sztuka", 1998/99
links: Am U-Bahnhof Friedrichstraße, Berlin Mitte, April 1945
rechts: Abgeschossenes deutsches Jagdflugzeug Me 109, Berlin-Kreuzberg,
Mai 1945
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